Hallo Altsax,
ohne Deine wohl
mündlich erhaltenen Antworten von BPP-Prüfern in Frage stellen zu wollen, kann man solchen "Plaudereien aus dem Nähkästchen" leider nicht allzu großen
Aussagewert beimessen, auch wenn sie sich mit Erfahrungen aus der Prüfungspraxis belegen lassen mögen. Was man untereinander in Insiderkreisen äußert, würde man nicht unbedingt öffentlich publizieren oder sich später darauf festnageln lassen.
Ein anderer Aspekt, den ich vorwegschicken möchte: Es kommt bei der Ausformulierung bzw. Darstellung eines positiven Prüfungsergebnisses meiner Meinung nach ganz entscheidend darauf an, wer der
Auftraggeber einer Prüfung ist. Es wird eben nicht zuletzt aus wirtschaftlichem Interesse oder wegen persönlicher Beziehungen zu einflussreichen Philatelisten mit zweierlei Maß gemessen, nämlich ob es sich um einen Einzelauftrag einer (unbekannten/unbedeutenden) Privatperson handelt oder um einen wiederkehrenden Großkunden. Wenn beispielsweise ein knapp zur Hälfte ergänzter Bayern-Einser oder Sachsendreier von mir zur Prüfung eingereicht würde, dürfte das dokumentierte Prüfergebnis mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit rein qualitativ ein anderes sein, als wenn solche Stücke von einem renommierten Auktionshaus oder als einer von regelmäßigen Sammelaufträgen eines Händlers vorgelegt werden.
Wie hier im Forum auch schon unter Beweis gestellt wurde, bestehen manche Briefmarkenhändler unter Androhung diverser Konsequenzen bei für sie unvorteilhaften Attesten auf
"Nachbesserung", dem die betreffenden Prüfer scheinbar auch nachkommen (das neue Attest wurde ja nicht gezeigt, weil schon wieder im Auktionskreislauf etc. pp.). Bei Reklamationen von Otto Normalsammler gibt es solche Kulanz freilich nicht, da wird seitens des Prüfers Überlegenheit oder Sturheit demonstriert. Bei Prüfgebieten mit mehreren Experten bleibt bei unliebsamen, zu kritischen Prüfergebnissen auch noch, es bei jemand anderem zu versuchen, der wohlwollender oder großzügiger vorgeht. Spezialsammler wissen zumeist, bei wem welche Stücke am besten geprüft werden.
ECHT:
Zwischen den Polen "echt" und "falsch" existiert eine Grauzone von restaurierten/reparierten Stücken, bei denen Teile des Markenbildes und/oder des Stempelabschlages mehr oder weniger kunstvoll ergänzt worden sind.
Daraus ergeben sich zahlreiche Einstufungsfragen, wobei drei ganz wesentlich sind:
a) von welchem Anteil ergänzten Materials an gilt ein Stück nicht mehr als "echt"? Die mir gegebenen Antworten reichen von 30% bis 49%.
b) macht eine nicht existierende (ergänzte) Stempeltype oder ein unmögliches Stempeldatum das Stück zur Fälschung? Auch dazu erhielt ich zueinander konträre Antworten.
c) wie ist die Anordnung auf einem nicht zugehörigen Brief oder Briefstück einzustufen? Die Antworten reichten von "Fälschung" bis "wie die lose Marke".
Die meisten Haupt- und Nebenerwerbsprüfer aus allerlei Berufsgruppen sind wohl kaum akademischen (Grundsatz-)Diskussionen zugänglich, insbesondere wenn es um für die eigene Tätigkeit existentielle Fragen und schwierige Probleme geht, für die es keine formalen Lösungen, sondern allenfalls - jahrzehntelang geübte - praktikable Handhabungen geben kann. Daher rührt sicherlich auch die durch interpretationsfähige Attest- und (Kurz-)Befundformulierungen betriebene Intransparenz bzw. zurecht als "Geheimniskrämerei" kritisierte Prüfpraxis.
Institutionell mangelt es im BPP an solchen in ähnlichen Metiers bewährten Qualitätssicherungs- und Kontrollmechanismen wie Vier-Augen-Prinzip, Peer Review, Referees oder Ombudsmann. Die existierende "Verbandsprüfungsstelle" des BPP scheint mir jedenfalls keine so funktionierende Instanz zu sein.
Bislang kann insbesondere jeder auf seinem Prüfgebiet allein herrschende Prüfer vielmehr nach einmal bestandener Aufnahmeprüfung nach
Gutdünken herumwursteln, darf es nur nicht allzu bunt treiben, denn dann droht der Ausschluss, dem in der Vergangenheit durch freiwilligen Austritt aus dem BPP zuvorgekommen wurde. Anschließend betätigen sich die betreffenden Herren und Damen im Konkurrenzprüferverband oder als freie Prüfer. Bei mehreren Prüfern für dasselbe Sammelgebiet besteht indes ein gewisser Abstimmungsbedarf, was neu erkannte Fälschungen, die Farbenzuordnung und viele andere Dinge betrifft. Zudem ist Konkurrenz wie so oft heilsam, um unerwünschten (Fehl-)Entwicklungen Einhalt zu gebieten. Von daher sollten
Monopolstellungen im Prüfungswesen die absolute Ausnahme bleiben und Mitbewerber nicht durch unüberwindbare Hürden abgehalten werden, um Platzhirschen das Revier zu sichern.
Welche "
Grenzwerte" man auch konkret als
Mindestanforderung festlegt, wird der komplexen Materie von teil- oder vollflächigen Hinterlegungen, (Rand-)Ergänzungen, Nadellochschließungen, entsprechenden Nachmalungen usw. in der Restaurierungspraxis sowieso nicht gerecht. Je nach Kunstfertigkeit des Restaurateurs, der Verwendung authentischer Materialien und nicht zuletzt der Kompetenz des Prüfers kommt man hier wohl kaum zu auf die Kommastelle nachvollziehbaren Prozentwerten. Ob nur zu 10 % oder sogar zu 45 % repariert, es ist und bleibt ein erheblicher Mangel im Vergleich zu einem einwandfreien Stück. Warum stellt man für reparierte Exemplare überhaupt fadenscheinige, großspurig anmutende Atteste statt schlichter Kurzbefunde aus? Weil dann niemand mehr hohe drei- oder vierstellige Beträge für solche Krücken ausgeben würde!
Ähnliches gilt für "unmögliche" Entwertungen.
Wer will oder soll das denn mit abschließender Sicherheit entscheiden, dass nicht sein kann, was nicht sein darf? Werden dann jedoch zu viele Prüfvorlagen als "unprüfbar" zurückgegeben, werden schnell Zweifel an der Kompetenz des Prüfers laut, obwohl er - wie offenbar erwartet - nur nach bestem Wissen und Gewissen prüft. Wenn man so hohe berufsethische und haftungsrechtliche Maßstäbe anlegt, wird sich bald niemand wirklich Qualifiziertes mehr als Nachwuchs finden, der zu bezahlbaren Vergütungen solche Dienste anbietet. Die eine Alternative wären wissenschaftlich "exakte" Gutachten, die außer bei sehr wertvollen Prüfobjekten kaum noch finanzierbar bzw. rentabel wären. Die andere Alternative wären Möchtegern-Experten, die inhaltlich wertlose Expertisen ausstellen.
Auch bei Wirtschaftsprüfungen von Unternehmen gibt es übrigens aus Zeit- und Kostengründen keine Vollprüfungen, sondern mehr oder weniger
pragmatische Verfahren, die in der Mehrzahl der Fälle zu zutreffenden Resultaten führen und in wenigen Ausnahmefällen eben auch Fehlurteile hervorbringen. Letztere können durch unerkannte Manipulation oder auch Nachlässigkeit sowie partielle Inkompetenz der Prüfer hervorgerufen werden (Offenbar soll sich jeder Briefmarkenprüfer auf allen einschlägigen Gebieten von der Materialforschung bis zur Postgeschichte auskennen.). Auch diesen menschlichen Aspekt sollte man nicht außer Acht lassen, wenn man eine Art unfehlbaren "Briefmarken-TÜV" erwartet.
EINWANDFREI
Jedem vernünftigen Sammler ist bewußt, daß über 100 Jahre alte Marken bzw. Briefe nur in Ausnahmefällen keine Spuren ihres Alters tragen. Dieser nicht zu bestreitenden Tatsache muß selbstverständlich bei der Einstufung als "einwandfrei" Rechnung getragen werden. Die dabei zu ziehenden Grenzen allerdings variieren von Prüfer zu Prüfer erstaunlich stark.
Einige mir genannte Ansichten erstaunten schon:
- Büge, Flecken, Risse im Briefpapier, die die Marken nicht betreffen, werden im Attest nicht erwähnt.
- Reinigung von Briefen, die Marken "unbeeinflußt" läßt, wird im Attest nicht erwähnt.
- Nadelstiche in Marken stellen keinen Fehler dar, weil entweder herstellungsbedingt oder vom Trockensand herrührend und damit gebrauchstypisch.
- Beschädigungen oder Reparaturen im breiten Überrand einer Marke, die sich theoretisch abschneiden ließen, gelten selbst dann nicht als Fehler, wenn diese Marke auf Brief sitzt.
- ohne konkreten Anlaß und ohne Genehmigung des Auftraggebers wird eine Marke nicht zur Untersuchung vom Brief gelöst, obwohl es Tatsache ist, daß sich manche gute Reparaturen nur im abgelösten Zustande erkennen lassen. Ein Brief, bei dem eine Markenraparatur nicht erkennbar ist, aber mangels Ablösung auch nicht ausgeschlossen werden kann, hat als "einwandfrei" zu gelten.
Besitzer/Verkäufer vermeintlich seltener Stücke und/oder solcher in außerordentlicher Qualität leiden genauso wie langjährige Prüfer unter einer verzerrten Wahrnehmung: Die relativ wenigen Stücke, die ein Philatelist oder auch ein Händler jemals zu sehen bekommt, verleiten eben schon bei einer etwas überdurchschnittlichen Erhaltung zu der Annahme, es handele sich um absoluten Luxus. Umgekehrt wachsen die Qualitätsanforderungen eines Prüfers mit jedem ihm bekannten Stück, das alle bisherigen in den Schatten stellt. Manch Prüfer mag hier auch gern eine Art
"Marktbereinigung" betreiben wollen, indem er die Masse durchschnittlichen Materials nicht mehr befundet, sondern nur noch signiert oder als minderwertig ablehnt, auch wenn es keine (Ver-)Fälschungen oder Reparaturen sind. Gegenbeispiele von "sammlerfreundlichen" Prüfern gab und gibt es auch, die jede 08/15-Marke mit vermarktungsoptimalem Kurzbefund aufwerten.
Sehr uneinheitlich waren auch die Antworten zu Farbeinstufungen. Die Extremposition schlechthin dazu hat mich mehr als erstaunt:
Ein angesehener Prüfer vertritt die Ansicht, daß "visuelle Prüfung" selbst dann ausreicht, wenn die Möglichkeit der Farbverfälschung bekannt und bei der betreffenden Marke bereits praktiziert worden ist.
Wie bereits geschrieben, handelt es sich bei den genannten Prüfgrundsätzen um - soweit ich das beurteilen kann - Extrempositionen, allerdings nicht gerade von Vertretern unbedeutender Außenseitergebiete.
Ich bin der Meinung, daß seitens des Prüferbundes eine Vereinheitlichung der Handhabung dringend erarbeitet und verbindlich vorgegeben werden sollte.
Wer nur ein Gebiet sammelt, kann sich ja auf "seinen" Prüfer einstellen. Bei der Einschätzung der Prüfurteile unterschiedlicher Prüfer kann es aber zu Schwierigkeiten kommen, wenn jeder unter "echt" und "einwandfrei" etwas anderes versteht.
Mir persönlich macht das Sammeln von
bei Tageslicht eindeutig unterscheidbaren Farben klassischer wie auch moderner Ausgaben viel Freude, jedenfalls mehr als mikroskopisch kleine, ausgabetypische oder herstellungsbedingte (Druck-)Abweichungen zu suchen. Bei Kontrollratsausgaben der Nachkriegszeit und frühen DDR-Dauerserien trieb das
pseudowissenschaftliche Analysieren von Druckfarben derartige Blüten, die zu Korrekturen in Katalogen und ganz nebenbei auch maßgeblich zur Gründung eines Konkurrenzprüferverbandes geführt haben. Es sind also nicht nur die (Semi-)Klassik-Prüfer mehr oder weniger uneins, teilweise beim selben Prüfgebiet. Innerhalb eines Prüferverbandes müssen auch die unterschiedlichen Ansichten von Sammelgebieten ab 1849 bis heute unter einen Hut gebracht werden.
Meine ganz
persönliche ist, dass ich die fragwürdigen und kostspieligen Dienste von Prüfern überhaupt nicht mehr in Anspruch nehme, soweit es geht. Manche Spezialitäten sind ohne aktuelles Prüfergebnis nicht zu vernünftigen Preisen veräußerbar, aber selbst dann muss man die Kosten und Risiken ("Schlechtprüfung" eines Objektes durch Dokumentation minimaler Mängel) gut kalkulieren. Ich selbst brauche für meine Sammlung weder Echt-und-einwandfrei-Atteste noch Mängelbescheinigungen.
Wenn ich zuviel Zeit und Kapital für den Aufbau einer Vergleichssammlung übrig hätte, würde mich die
Ausübung einer Prüftätigkeit aus rein philatelistischen Gründen auch interessieren. Man bekommt dann sehr viel und zum Teil finanziell unerschwingliches Material zum Selbststudium ins Haus, kann viel mehr empirisch forschen als nur Literatur oder posthistorische Quellen auswerten. Wie objektiv oder subjektiv meine Prüfergebnisse (Attestformulierungen etc.) ausfallen würden, kann man natürlich erst nach einiger Praxis wissen. Aber einige Vorbilder im Kreise der BPP-Prüfer gibt es auf jeden Fall, die von einschlägigen Sammlern geschätzt werden. Und die schönfärberisch agierenden Gefälligkeitsprüfer kennen die Spezialsammler ja auch.
Beste Sammlergrüße
philnum